Scheinselbstständigkeit vs. Future of Work - Steht Deutschland sich selbst im Weg?

Scheinselbstständigkeit vs. Future of Work – Steht Deutschland sich selbst im Weg?

17. Oktober 2024 / 5 Min /
New Work ist mit Scheinselbstständigkeit nicht möglich

In Deutschland boomt der Fachkräftemangel und sorgt für Schäden in Millionenhöhe. Erst 2023 waren über 500.000 Stellen unbesetzt. Das Resultat: Produktivitätsausfälle im Wert von 49 Millionen Euro. Im Einsatz externer Experten steckt Potenzial, die Fachkräftelücke zu schließen und Projekte voranzutreiben. Aufgrund bürokratischer Hürden, wie dem Risiko der Scheinselbstständigkeit, scheitert es jedoch an der Umsetzung. Wir fragen uns in diesem Beitrag – haben New Work Konzepte unter diesen Bedingungen in Deutschland eine Zukunft, und falls ja, was muss sich ändern?

New Work und Freelancing

Nine-to-Five war gestern. Heute sucht man sich aus, wann und von welchem Ort aus man arbeiten möchte – der Kerngedanke von New Work. Insbesondere Freelancer und die sogenannte „Gig-Economy“ genießen dieses Privileg schon längst. Seit der Corona-Pandemie drängt sich die moderne Arbeitsweise zunehmend in die Arbeitnehmerschaft.

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Wenn es um Scheinselbstständigkeit geht, wird das für Freelancer und Unternehmen allerdings schnell zum Problem. Denn: Bislang waren New Work Aspekte wie Flexibilität, Agilität und Remote Work etwas, worin sich Freelancer von Festangestellten unterscheiden konnten – quasi ein Abgrenzungsmerkmal, um eine Scheinselbstständigkeit ein Stück weit auszuschließen. Seit immer mehr Festangestellte ähnliche Privilegien genießen, gilt der Mythos, der Freelancer arbeite remote, also könne er nicht scheinselbstständig sein, nicht mehr.

Nicht nur für uns, sondern auch für Verbände und einige Stimmen aus der Politik steht fest: New Work ist die Zukunft der Arbeit, sowohl für Arbeitnehmer als auch weiterhin Freelancer. Das wird beim Statusfeststellungsverfahren und den Kriterien der Scheinselbstständigkeit allerdings noch nicht genug berücksichtigt.

Es entstehen neue Tätigkeitsfelder, Arbeitsmethoden und Herausforderungen, für die wir die Kreativität und die Schaffenskraft von Selbstständigen dringend brauchen, aber derzeit legt ihnen die Regierung Steine in den Weg.

Jens Vogel
FDP-Arbeitsmarktexperte

Funktioniert New Work trotz Scheinselbstständigkeit?

So schön der Gedanke von Selbstbestimmung, Autonomie und Flexibilität als Teil des New Work Modells auch klingen mag – aufgrund der deutschen Bürokratie ist die freie Projektarbeit nicht so frei, wie sie sein könnte. Eine große Freelancer-Hürde ist vor allem das Damoklesschwert der Scheinselbstständigkeit.

Beide Vertragsparteien müssen penibel darauf achten, dass keine Risiken entstehen und der Traum der freien Mitarbeit schnell zum Albtraum wird – für jede Seite im Auftragsverhältnis. Gleichzeitig fehlt es an einem konkreten Rahmenplan, an den sich Auftraggeber und Auftragnehmer halten können, um eventuelle Risiken gezielt zu vermeiden.

So forderten die Liberalen bereits 2019 Positivkriterien, damit eine Selbstständigkeit schnell und verbindlich bestätigt werden kann. Bis heute blieb ein solcher Kriterienkatalog aus, es gab lediglich eine Reform des Statusfeststellungsverfahrens – weiterhin ohne Positivkriterien.

Unternehmen schrecken zunehmend vor dem Einsatz von Freelancer zurück

Bereits jetzt sind die Auswirkungen einer fehlenden Reform für Selbstständige in Deutschland spürbar. Ein aktuelles Beispiel aus dem Frühjahr 2024 ist DHL. Der Spediteur beendete die Zusammenarbeit mit seinen Freelancern, selbst nach mehreren Jahren der Projektarbeit. Plötzlich sei das Risiko der Scheinselbstständigkeit zu hoch gewesen, so die Rechtsabteilung.

In der Vergangenheit beendeten andere Großkunden die Zusammenarbeit mit ihren Freelancern oder haben sie vorsorglich untersagt. 2019 war es Vodafone, die für alle Abteilungen ein „Freelancer-Verbot“ ausgesprochen hatte – und das allein aus rechtlicher Unsicherheit.

Für digitale Nomaden gibt es bei steigendem Risiko und wachsender Unsicherheit keinen Grund mehr, zu bleiben. Stattdessen wollen sie Deutschland den Rücken zu kehren. Andreas Lutz, Vorsitzender des Verbandes der Gründer und Selbstständigen, warnt: „Diese Regelung treibt immer mehr der hiesigen Spezialisten ins Ausland“. Das zeigt auch eine unserer neuesten Plattformumfragen zur Abwanderungsbereitschaft von Freelancern. Bereits 24 % der Befragten sind ausgewandert oder sitzen auf gepackten Koffern.

Lösungen für weniger Schein und mehr Selbstständigkeit

Damit Freelancing in Deutschland wieder attraktiver wird, braucht es eine Reform des Statusfeststellungsverfahrens. Auch der Verband der Gründer und Selbstständigen e.V. fordert Neuerungen und vor allem Vereinfachungen für Selbstständige. Einige Forderungen sind:

Positivkriterien

Für den Begriff der „Selbstständigkeit“ gibt es im Gesetz keine eigene Definition, die Tätigkeit auf eigene Rechnung stellt lediglich das Gegenteil einer abhängigen Beschäftigung dar. Um eine Scheinselbstständigkeit auszuschließen, sollten sich Selbstständige auf entsprechende Positivkriterien berufen dürfen. Etwa der deutlich höhere Stundensatz von Freelancern, das Bestehen einer Altersvorsorge oder das Vorliegen eines Werkvertrags.

Einführung einer Schnellprüfung

Anstelle eines langwierigen Statusfeststellungsverfahrens (SFV), das bei Uneinigkeit von Widerspruch und Klageerhebung begleitet wird, fordert der VGSD eine Schnellprüfung. Die soll das SFV überflüssig machen, wenn gewisse Bedingungen erfüllt sind. Zum Beispiel, wenn Freelancer in die gesetzliche Rentenversicherung bereits einzahlen, bereits rentenversicherungspflichtig aufgrund ihrer Tätigkeit sind oder anderweitig sozial abgesichert sind.

Berücksichtigung branchenüblicher Methoden

In der Prüfpraxis der Deutschen Rentenversicherung werden häufig branchenübliche Methoden als Argument für eine Selbstständigkeit verwendet. Dazu gehören Lehrpläne von Schulen sowie Prüfungsordnungen, an die sich auch freie Dozenten und Lehrer halten, um die Qualitätssicherung und Standardisierung zu erhalten.

Hat Freelancing eine Zukunft in Deutschland?

Für uns steht fest, dass Freelancing das Rückgrat der Arbeitswelt von Morgen ist. Freelancer kommen genau dort zum Einsatz, wo die Personaldecke dünner wird. Mit ihrer Expertise treiben sie die Innovationskraft und Produktivität von Unternehmen voran, sind schnell einsatzbereit und kommen ohne langes und kostspieliges Onboarding aus.

Damit Unternehmen weiterhin von den Vorzügen der freien Mitarbeit profitieren und Freelancer auch weiterhin in Deutschland frei sein können, braucht es hierzulande dringend eine Reform. Eine Reform des Statusfeststellungsverfahrens und insgesamt des Problem-Themas Scheinselbstständigkeit. Wann es so weit sein wird, steht noch offen.

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