Sind Freelancer die Lösung im öffentlichen Dienst?
Es klafft eine riesige Personallücke in den deutschen Verwaltungen – vor allem bei Spezialisten für IT, Software und Digitalisierung. Sind Freelancer im öffentlichen Dienst die Lösung für dieses Problem und kann der Fachkräftemangel dank Freelancing überwunden werden? Ulrich Silberbach, Bundesvorsitzender der dbb beamtenbund und tarifunion sowie einige IT-Experten haben über diese Frage gesprochen.
Negative Entwicklung des Fachkräftemangels bis 2030
Trotz der seit 2009 stetig ansteigenden Beschäftigten im öffentlichen Sektor in Deutschland stellt der Fachkräftemangel ein enormes Problem dar. Bis zum Jahr 2030 wird hier ein Mangel von etwa einer Million Spezialisten erwartet. Besonders stark betroffen sind die digitalen Berufe, insbesondere im Bereich der Informationstechnik. Bereits jetzt fehlen knapp 40.000 Experten und bis 2030 wird sich diese Zahl sogar mehr als verdreifachen. Dies hat besonders gravierende Auswirkungen auf wichtige Bereiche wie Bildung, Gesundheit und Sicherheit. Doch nicht nur das, wie Ulrich Silberbach, Bundesvorsitzender der dbb beamtenbund und tarifunion, betont:
Der Fachkräftemangel im öffentlichen Dienst ist längst kein Problem einzelner Berufsgruppen mehr, sondern ein Flächenbrand. Uns fehlen aktuell 360.000 Beschäftigte. Hinzu kommt, dass ein Drittel der Kollegen – die Generation der Babyboomer – innerhalb der nächsten zehn Jahre in den Ruhestand geht. Es braucht daher dringend mehr IT-Spezialisten, Ingenieure, aber auch Lehrkräfte, Pflegekräfte und Erzieher, um nur einige wenige Berufsgruppen zu nennen.
Ulrich Silberbach, Bundesvorsitzender der dbb beamtenbund und tarifunion
Was sagen Experten zum Fachkräftemangel im öffentlichen Dienst?
Derzeit sind nur etwa drei Prozent der sozialversicherungspflichtigen IT-Spezialisten im öffentlichen Sektor tätig – eine zu geringe Anzahl, um dem Fachkräftemangel in der Verwaltung auch nur annähernd entgegenzuwirken. Selbst Freelancer können diesen Mangel nicht vollständig kompensieren. Dennoch zeigen viele Interesse daran, im öffentlichen Dienst zu arbeiten, wie eine Umfrage unter unseren über 1.000 Mitgliedern ergab: Über die Hälfte der Befragten hat bereits Erfahrungen in staatlichen Positionen gesammelt und mehr als drei Viertel stehen einer Tätigkeit in diesem Bereich offen gegenüber. Die befragten Freelancer bewerten die Zusammenarbeit sogar als sehr positiv, obwohl manche Gepflogenheiten im Vergleich zur freien Wirtschaft auf sie zunächst gewöhnungsbedürftig wirkten:
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Ich musste erst einmal lernen, Geduld bei anstehenden Veränderungen zu entwickeln, und mir darüber klar werden, dass Gewinnmaximierung im Staatsdienst nicht der wesentliche Treiber ist, erzählt beispielsweise der IT-Spezialist Norman Brehme. Dennoch beschreibt er seine Erfahrung insgesamt als gut: Ich bin sehr gerne für den öffentlichen Dienst tätig. Die Aufgaben sind sehr interessant und herausfordernd. Auch IT-Freelancer Martin Stoll zieht eine ermutigende Bilanz: Die pragmatische, lösungsorientierte Zusammenarbeit mit den Ansprechpartnern hat mich positiv überrascht. Ich arbeite gerne für den öffentlichen Sektor, man darf sich von den bürokratischen Hürden nicht zu sehr abschrecken lassen.
Vorteile im öffentlichen Dienst
Die Zusammenarbeit mit freiberuflichen Spezialisten bietet dem öffentlichen Dienst als Arbeitgeber einige Vorteile. Das Recruiting gestaltet sich in der Regel weniger zeitaufwendig, beispielsweise durch formlose Ausschreibungen auf einschlägigen Plattformen wie freelancermap, im Vergleich zur Einstellung von Festangestellten. Dadurch können Freiberufler auch kurzfristige Engpässe effektiv überbrücken und darüber hinaus bringen sie eine externe Perspektive auf etablierte Arbeitsmethoden und starre Strukturen ein. Außerdem können sie ihr in der Wirtschaft erworbenes Fachwissen sofort gewinnbringend einsetzen.
Gerade freischaffende IT-Spezialisten sind in der Regel ‚Early Adopter‘, die in Bereichen wie Digitalisierung und Zukunftstechnologien nicht nur über hervorragende Expertise verfügen, sondern diese auch kontinuierlich erweitern – allein um selbst im Wettbewerb bestehen zu können.
Thomas Maas, CEO freelancermap
Das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) und das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) profitieren bereits seit einigen Jahren von diesen Stärken. Sie setzen auf das Prinzip des „Pooling and Sharing“, um IT-Sicherheitsexperten aus der freien Wirtschaft für sich zu gewinnen. Dabei teilen sich der öffentliche Dienst und Unternehmen externe Fachkräfte – oder sie bilden gemeinsame Spezialisten-Pools, aus denen sowohl staatliche Institutionen als auch Wirtschaftsunternehmen bei Bedarf schöpfen können. Durch diese zeitlich begrenzten Tätigkeiten sind keine langfristigen Verträge erforderlich, dennoch ist ein nachhaltiger Wissenstransfer möglich.
Gründe für den IT-Fachkräftemangel im öffentlichen Dienst
Der Fachkräftemangel wird für die öffentliche Verwaltung auch in Zukunft ein großes Problem bleiben, es sei denn, es werden radikale Veränderungen an den bisherigen Rahmenbedingungen vorgenommen. IT-Spezialisten werden aufgrund fehlender hoher Bildungsabschlüsse oft nur in niedrige Tarifgruppen eingestuft, obwohl sie über umfangreiche Berufserfahrung und dringend benötigtes Expertenwissen verfügen. Die freie Wirtschaft lockt mit attraktiveren Verdienstmöglichkeiten, Weiterbildungsmöglichkeiten und anderen nichtmonetären Vorteilen.
Die konservativen Arbeitsformen im öffentlichen Sektor sind insbesondere für die Gewinnung von Nachwuchskräften hinderlich, wie Ulrich Silberbach betont. Junge Menschen fragen nach Homeoffice und flexiblen Arbeitszeiten und möchten möglicherweise nicht mehr 40 Stunden pro Woche arbeiten oder an fünf Tagen in der Woche im Büro sein. Wenn der öffentliche Dienst dann sagt, dass es nur eine Fünf-Tage-Woche gibt, Anwesenheitspflicht besteht und die Digitalisierung nur langsam voranschreitet, springen viele Bewerber sofort ab. Obwohl Freiberufler gute Bewertungen erhalten haben, ist die verstärkte Einbindung von ihnen laut dbb-Chef Silberbach nicht der beste Weg. Vor allem muss der Bedarf der Verwaltung langfristig gedeckt werden.
Fazit: Das bewirken Freelancer im öffentlichen Dienst
Freiberufler können punktuell bei bestimmten Forschungs- und Entwicklungsprojekten helfen, aber für eine nachhaltige Digitalisierung des Staates werden Experten benötigt, die langfristig dem Staat loyal gegenüberstehen. Maas betrachtet die Situation pragmatisch und sagt, dass der öffentliche Dienst bereits heute Jahre hinterherhinkt bei der Umsetzung der Digitalisierung. Unter den aktuellen Bedingungen wird es nicht gelingen, diesen Rückstand kurz- oder mittelfristig aufzuholen. Früher oder später müssen die Behörden umdenken und neue Lösungen finden. Eine wertvolle und bei Weitem noch nicht ausgeschöpfte Ressource können hierbei freischaffende Experten sein. Eine Ressource, von deren Einsatz die Arbeitgeber, die Bürger und natürlich auch die Freelancer selbst profitieren können.